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Rugby im Fußballgewand




Mythos Wismut



Sie war ein Staat im Staat, diese „Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft“, die mit einem Heidenaufwand Bergbau in der DDR betrieb. Am Anfang der Wertschöpfungskette stand der Abbau von Erzen bis hunderte Meter untertage. Obenauf wurde das kostbare Gut zerbrochen, zermahlen und durch Laugung aufbereitet. Aus der Lauge erhielt man über chemische Vorgänge die begehrte Essenz ausgefällt, die in Fässern auf dem Schienenweg sodann gen Osten entschwand, zum Käufer, der UdSSR. Namensgeber des gesamten Unternehmens war ein spärliches Metall (s. Bild), welches bei ungeklärter Wortherkunft gleichermaßen mit Bismut oder Wismut benannt ist. Trotzdem hatte niemand die Absicht, davon auch nur einen Krümel auszubuddeln. Dieser Name diente einzig und allein als Feigenblatt !! In Wahrheit förderte die SDAG Wismut für die sowjetischen Kernwaffen Uran !!




„Wismut“ trat 1950 als erster Trägerverband in der DDR an. Das Unternehmen ließ Sportstätten errichten, setzte Trainer und Funktionäre auf seine Lohnliste, fuhr die Mannschaften mit eigenen Bussen zu den Spielorten, usw. Dabei deckte sich das Auftreten der Wismut-Vereine selbstredend mit den Einzugsgebieten der Bergwerke und der Aufbereitungsbetriebe. Zum einen sprechen wir vom westlichen Erzgebirge samt Vorland, zum anderen vom benachbarten Ostthüringen um Ronneburg bei Gera. Fernab an der Küste bestanden in zwei Orten, wo es Urlaubsheime für die Kumpel gab, noch die Klubs Wismut Zinnowitz und Wismut Graal-Müritz. Insgesamt können gut 50 Vereine identifiziert werden; nach einer Quelle sollen es mehr als 70 gewesen sein. Sie trugen fast geschlossen die übliche Namensform „BSG Wismut“. Ausnahmen bildeten betreffs Bezeichnungsname der SC Wismut Karl-Marx-Stadt (von dem noch die Rede sein wird), die SG Wismut Gera * (zusätzlich zur dortigen BSG Wismut) und die WSG Wismut Gera-Bieblach (WSG = Wohnsportgemeinschaft). Mitunter erweiterte sich der Wortname zu Freiheit Wismut Lauter, Zentra Wismut Bockau, Wismut Erz Frankenhausen * oder zum seltenen Hybriden Wismut/Rotation Crossen. Der Löwenanteil aller Wismut-Vereine entfiel geballt auf die Dörfer im Umkreis von Aue, und auch sie waren - mit Stillegung des jeweiligen Schachts - weitgehend schon Ende der 50er Jahre wieder verflossen, d.h. an andere Trägerverbände abgegeben worden. Karl-Marx-Stadt/Chemnitz, Zwickau, Plauen und Altenburg hatten nur unbedeutende oder fußballose Wismut-Vereine. Umso souveräner verteidigte man die beiden Festungen Aue und Gera. Seit der Einführung begünstigter „Fußballclubs“ in der DDR mußte „Wismut“ allerdings soviele Mittel wie möglich auf Aue konzentrieren, um zumindest den einen Vertreter in der höchsten Klasse zu halten, was ja auch bis zur Wende gelang. Für Wismut Gera stellte sich Wismut Aue daher mehr und mehr als Erzfeind heraus (nie paßte der Ausdruck besser), vergleichbar mit dem Verhältnis Bayer Uerdingen + zu Bayer Leverkusen. Dennoch können die Thüringer unter anderem als Spitzenreiter in der Ewigen Tabelle der zweit­obersten Liga ebenfalls eine gute Bilanz vorweisen. Nachdem in den 60er Jahren ein Uran-Vorkommen in der Sächsischen Schweiz entdeckt wurde, nahm sich „Wismut“ dort noch eines Underdogs an und führte ihn unter dem Namen Wismut Pirna-Copitz als Nr. 3 der Hackordnung auch in höhere Gefilde.



Jetzt wird es Zeit für eine ganzheitliche moralische Bewertung des Vereinsnamens „Wismut“. Auf der Schattenseite hätten wir härteste Arbeit in unmenschlicher Umgebung, einen dicken Katalog von entsetzlichen Berufs­krankheiten, ständige Todesgefahr, die Verschandelung und Verseuchung der Landschaft, die abstrakte Tätigkeit für den fremden Herrn UdSSR, das Unterstützen des atomaren Rüstungswettlaufs, die widerwärtig-verlogene Sprachpolitik mit dem Tarnnamen. Dem steht gegenüber, daß der Mensch irgendwas arbeiten muß und er dazu auch seine Umwelt gestalten darf, daß der Uran-Abbau Hunderttausenden einen überdurchschnittlichen Lebensunterhalt bescherte, daß man nebenbei auch den nötigen Brennstoff für die Kernenergie gewann, und daß eine herausragende Kulturleistung darin vollbracht wurde, dieses atemberaubend schöne Wort in die Öffentlichkeit geschoben zu haben, wo es sonst zweifellos unbekannt wäre. Die Systemzwänge mal außen vorgelassen, verbindet Wismut zudem glänzend die Forderung des „Vereinsnamen-Knigge“ nach regelmäßiger Wiederkehr der Vereinsnamen mit trotzdem allerhöchster Identität an jedem Standort. Schlauer gemacht hat uns diese Abwägung nun nicht. Wismut ist zu faszinierend um nur furchtbar zu sein - der Schinderhannes unter den Vereinsnamen.


Das letzte Stichwort bringt uns auf die richtige Fährte. Bei genauerem Hinsehen wird der Vereinsname Wismut tatsächlich von einer einzigartigen Mythen-Anhäufung getragen. Die DDR, der Kalte Krieg, die SDAG Wismut, der Berufszweig des Bergmanns, all dies gilt schon jeweils für sich als Kult. Eine fünfte Säule bildet die 50er-Jahre-Erfolgsmannschaft von Wismut „Karl-Marx-Stadt“. Was sich hinter diesem Namen verbarg? 1954 sollten gemäß dem nationalen Konzept „Sportclubs“ als Leistungszentren eingerichtet werden. Der Trägerverband Wismut plante seinen „SC“ beim Unternehmenssitz in der Bezirkshauptstadt anzusiedeln. Per Fingerschnipp, dachte man, bräuchte dazu lediglich der Umzug von Wismut Aue befohlen zu werden. Doch die Bergleute des Erzgebirges erkannten sofort ihre Machtposition. Sie drohten Streik an. Vor den Russen mit leeren Händen dazustehen, das konnte sich die DDR-Führung indessen keinesfalls erlauben. Als Kompromiß durfte der Klub weiterhin in Aue spielen, wurde jedoch seine große Zeit hindurch neun Jahre lang Wismut Karl-Marx-Stadt genannt. Obendrein waren die Auer in jenen Tagen immer wieder in Besonderheiten verwickelt. Bei der Umstellung des Spielplans nach russischem Vorbild auf Frühjahr-Herbst kam es zu einer einfachen Übergangsrunde, deren inoffiziellen Meistertitel ausgerechnet Wismut errang. Im Freundschaftsspiel gegen den 1.FC Kaiserslautern vor weit über 100.000 Zuschauern schoß Fritz Walter das bis 2015 beispiellose Kopfüber-Hackentor. Und beim ersten Europapokal-Auftritt eines DDR-Klubs mußte die bereits dritte Begegnung zwischen Wismut und Gwardia Warszawa (Warschau) in der Verlängerung wegen Dunkelheit abgebrochen werden, bevor die zur Entscheidung geworfene Münze noch mehrmals fortrollte. Aber nun wird es weißgott unheimlich: Aue und Gera sind ja beide etwas seltsame Ortsnamen. Mit ihnen als Grundlage läßt sich kaum ein ästhetisch befriedigender Vereinsname erschaffen. Bitte, man probiere für diese Fälle gern alles durch. Niemals wird man zu Ergebnissen kommen, die „Wismut“ hier auch nur annähernd das Wasser reichen können! Daß ein Ort so dringend auf genau den einen Fußballklub gewartet hat, läßt sich nur ganz selten behaupten (nach Ansicht von Vereinsnamen.de z.B. auch bei Hannover 96, Lüneburger SK, TuS Paderborn +, 1.FC Magdeburg, Stahl Brandenburg, TSG Wismar +). Passend dazu geht das weder in Aue noch in Gera auf Kosten etwaiger betrauernswerter Vorkriegsvereine.


   



Der heutige Bestand umfaßt drei Klubs: Wismut Erlabrunn (Sachsen), Wismut Seelingstädt (Thüringen) und seit 2009 - als „Stadtverein“ einer vergangenen Großstadt - auch wieder Wismut Gera. Setzen wir die beiden Hauptklubs und je einen Begleiter als angemessenes Aufgebot an, fehlt nichts weiter als Wismut Aue, dies aber eben an allen Ecken und Enden. Derzeit bietet der FC Erzgebirge Aue ein unruhiges, fußballfremdes Luftloch als Vereinsname; eher wäre „FC Erzgebirge“ mit „Erzgebirge“ als Ortsname erträglich. Da fragt sich, wer die Rückbenennung überhaupt verhindert. Der Anhang ist es nicht, heißt der Klub für ihn doch noch immer Wismut. Von der bundeseigenen Wismut GmbH, die außerhalb jeden Wettbewerbs mit einem Milliardeneinsatz Umweltschäden ausbügelt, deshalb des Sponsorings unverdächtig ist, sollte - siehe Gera - auch keine Gegenwehr zu erwarten sein. In Aue wird der Name Wismut heute durch eine Wohnungsgenossenschaft vertreten. Das kann nicht genügen. Schließlich ist Spitzenfußball im Erzgebirge ohne den Begriff Wismut ungefähr so ehrlich wie Uran-Abbau mit ihm ...